Kölner Stadt-Anzeiger/ Leverkusener Anzeiger vom 08.11.2007 » Zurück

Leverkusen

Zeugnis für Lehrer: Viele finden das gut [pdf]

Von Anika Fiebich

 
Schüler, die Noten vergeben wollen, haben im Internet Gelegenheit dazu. Wir befragten Schüler, Eltern und Pädagogen.

Vor neun Monaten haben Kölner Studenten die Internetseite "Spickmich" ins Leben gerufen, auf der Schüler Stundenpläne erstellen, Clubs gründen und sich gegenseitig Nachrichten schicken können - vor allem aber ihre Schule und ihre Lehrer benoten können. Ist der Unterricht gut, die Benotung "fair", der Pädagoge "cool und witzig", oder vielleicht das Gegenteil davon?

Seit die Seite im Netz steht, haben sich 250 000 Schüler auf der Internethomepage angemeldet. "Fast meine ganze zehnte Stufe macht da mit", erzählt Isabell Reif. In der Käthe-Kollwitz-Geamtschule in Rheindorf haben die Schüler mit ihren Lehrern im Unterricht auch über "Spickmich" diskutiert. Die 15-Jährige meint, ihre Lehrer sähen die Bewertung der Schüler gelassen. "Wir benoten unsere Lehrer natürlich auch gerecht," sagt sie.

 KOMMENTAR ( Allgemeiner Teil / KStA, S. 4, Meinung )
Wer ist als Nächster "ungenügend"?

Lehrer-Benotung bei "spickmich.de"

Die Benotung von Lehrern im Internet wird wohl auch in zweiter Instanz für rechtens erklärt werden. Damit darf die ganze Welt über jeden einzelnen Lehrer urteilen. Dass diejenigen, die mit Noten Druck ausüben können, nun per "spickmich.de" selbst Gegenstand der Bewertung werden, mag jene freuen, die sich für ihr schlechtes Abschneiden in der Mathearbeit rächen wollen. Ein Schlag ins Gesicht ist hingegen die Entscheidung für alle, denen die Wahrung der Persönlichkeitsrechte und unser Bildungssystem am Herzen liegen.

Natürlich haben Schüler das Recht, ihren Lehrern eine Rückmeldung zu geben, die zur Verbesserung des Unterrichts beitragen kann. Allerdings sollten die Schüler ihre Meinung dort loswerden, wo sie allein von Nutzen sein kann: in der Schule.

Wenn eine Klasse findet, dass die Geschichtslehrerin zu viel monologisiert, dann kann es ja durchaus vernünftig sein, sie darauf hinzuweisen. Warum aber sollen die Leistungen eines Lehrers in aller Öffentlichkeit bewertet werden? Wer Lehrer wird, hat sich dafür entschieden, viel auf sich zu nehmen. Er ist aber nicht angetreten, eine Person des öffentlichen Lebens zu werden. Genau als solche werden Lehrer in Benotungsportalen behandelt. Es mag noch angehen, in Internet-foren darüber zu diskutieren, welcher Politiker zu viel wiegt oder zu wenig Haare hat. Politiker haben sich aber auch dafür entschieden, Menschen öffentlichen Interesses zu sein. Lehrer nicht. Mit welchem Recht also werden ihre Persönlichkeitsrechte so massiv eingeschränkt? Und - über wessen Coolness-Potenzial wird wohl als Nächstes abgestimmt? Über das der Ärzte, der Kassierer im Supermarkt ...?

Die Richter haben zudem außer Acht gelassen, dass "spickmich.de" manipulierbar ist. Nicht nur Schüler - alle können sich einen Account zulegen und munter abstimmen - über die Fähigkeiten eines Lehrers, den sie nie bei seiner Arbeit erlebt haben. Wenn mein Lehrernachbar mich zuparkt, dann entere ich "spickmich.de" und verteile Sechsen ...

Diese Art von Qualitätsprüfung wird das Bildungssystem nicht weiterbringen. Wer als Lehrer seine Beliebtheitskurve nicht abstürzen sehen will, sollte in die nächste Stunde Witzchen einstreuen. Er muss die dicksten Faulpelze verständnisvoll streicheln, er sollte sich ein schickes Hemd kaufen und abends mit seiner Klasse um die Häuser ziehen. Alles, was deutsche Schüler besser auf den globalen Wettbewerb vorbereitet - anspruchsvoller, fordernder Unterricht zum Beispiel -, sollte er vergessen. Denn dafür gibt es im Spickmich-Profil bestimmt keinen Einser-Regen.


fm.claudia.lehnen@mds.de
Eltern schließen sich an

"Spickmich" kennen noch nicht alle, aber die Idee, an den Lehrern anonym Kritik üben zu können, gefällt vielen jungen Leuten. "Ich finde es gut, dass es so etwas gibt", sagt Jennifer Korioth (21), ehemalige Schülerin der Gesamtschule Rheindorf: "Schade, dass es die Homepage nicht schon zu meiner Schulzeit gegeben hat." "Durch ,Spickmich´ kann man als Schüler Lehrer kritisieren", befindet Aysel Yorganci (18) vom Berufskolleg Geschwister-Scholl-Schule an der Bismarckstraße, denn: "Lehrer haben doch nicht immer recht." Ob die Kritik jedoch auch bei allen Lehrern Früchte trägt, bezweifelt sie aber.

Eltern schließen sich dem positiven Echo an: "Als Vater von drei Söhnen kenne ich die Probleme, die Schüler mit Lehrern haben können", sagt Ralf Deitz (46). "Es ist gut, wenn die Schüler diese Probleme äußern können." Dass eine Lehrerin kürzlich gegen "Spickmich" klagte, hält er für ungerechtfertigt. "Lehrer sollten sich an der Kritik messen, statt dagegen zu klagen." Siegrid Drost (54) schließt sich dieser Meinung an, allerdings unter Vorbehalt, dass die Kritik an den Lehrern oberhalb der Gürtellinie bleiben sollte. Als betroffener Lehrer wird die Homepage nicht unbedingt als positiv empfunden. "Ich finde es nicht in Ordnung, dass man schutzlos der Öffentlichkeit preisgegeben wird", schimpft Bernhard Marewski (59) vom Schlebuscher Freiherr-von-Stein-Gymnasium. Er würde zwar nicht direkt gegen das Portal klagen, hält "Spickmich" aber für eine "Gagseite" - mit der Möglichkeit, böse Scherze zu machen. Er ist offen für Kritik, findet aber, dass Probleme zwischen Lehrern und Schülern persönlich, nicht öffentlich diskutiert werden sollten. "Außerdem kann von konstruktiver Kritik hier nicht die Rede sein", sagt er. "Der Dialog ist einseitig, und als Lehrer weiß man gar nicht, was über einen geredet wird." Das stimmt aber nicht. "Auch Lehrer können sich auf unserer Homepage anmelden", erklärt Tino Keller (26), Mitgründer und Geschäftsführer von "Spickmich". Außerdem sei ein Kommentarfenster für die Lehrer geplant, in dem sie sich zur Kritik der Schüler äußern können. "Spickmich soll es den Schülern ermöglichen, ihren Lehrern ein Feedback zu geben. Dabei soll die Kommunikation natürlich nicht einseitig verlaufen."

Quelle: Leverkusener Anzeiger

Mehr hierzu:
  • KStA/ Leverkusener Anzeiger v. 08.11.2007 - Titelseite:
    "Wie viel Öffentlichkeit müssen Lehrer ertragen?"
  • KStA/ Leverkusener Anzeiger v. 08.11.2007 - Tagesthema:
    Benotungs-Plattform Internet
  • KStA/ Leverkusener Anzeiger v. 08.11.2007 - Meinung:
    Wer ist als Nächster "ungenügend"? Lehrer-Benotung bei "spickmich.de"



  • Vergl. auch Kölner Stadt-Anzeiger v. 07.11.2007:
    Detlef Schmalenberg: Lehrer müssen Noten ertragen

  • Das Forum "Spickmich"