Kölner Stadt-Anzeiger/ Leverkusener Anzeiger vom 10.07.2002 » Zurück


Reformprojekt in schwerer See

Von Markus Schwering und Kirsten Boldt

Kölner Schulen sollen am Projekt „Selbstständige Schule“ teilnehmen. Die CDU-Fraktion hat sich dazu entschlossen - auch wenn etliche Politiker das Modell für unausgegoren und risikobehaftet halten.

„Grundsätzlich stimmen wir der Teilnahme am Schulversuch zu“, sagte Jürgen Hollstein, schulpolitischer Sprecher der Kölner CDU, gestern nach der Fraktionssitzung. Damit gibt die stärkste Ratsfraktion grünes Licht für ein Schulprojekt, dass etlichen ihrer Mitglieder starkes Kopfzerbrechen bereitet.

Um die zu lindern, wollen die Christdemokraten die Beschlussvorlage für die Ratssitzung am 16. Juli ergänzt wissen. Die Leistungen zwischen den Jahrgangsstufen der Modellschulen und der anderer Schulen müssen ihrer Ansicht nach vergleichbar werden, um die Mobilität der Schüler nicht zu gefährden. „Die Qualität muss gewährleistet werden über Verfahren, die noch beraten werden sollen“, so Hollstein. Das könne beispielsweise über Tests geschehen. Zudem wünsche man sich als Stadt ein gutes Verhältnis zur Schulaufsicht in der Bezirksregierung, sie soll die Modellschulen stark beratend unterstützen.

Literaten als Lehrer

Sorge machen auch die Verträge mit Personal, das die Schulen einstellen können auf Grund der Mittel durch kapitalisierte Lehrerstellen. Den Bedenken der CDU, die Stadt könnte nicht lehrendes Personal durch Einklagen nach mehrfacher Vertragsverlängerung am Bein haben, will Schuldezernent Andreas Henseler nun entgegentreten: „Die Stadt wird niemanden einstellen, der nicht unmittelbar dem Unterricht zugute kommt.“ Das Schulministerium teilte mit, dass die freien Stellen mit Personal analog zum Programm Geld statt Stellen besetzt werden können. Diese Kräfte sollen „Erfahrungswissen von außerhalb des regulären Schulbetriebes einbringen“. Gedacht sei an Künstler, Informatiker, PC-Experten oder Literaten. Deren Beschäftigung erfolgt in der Vollmacht des Landes.

„Es gab schon eine ernsthafte Debatte um die Teilnahme am Projekt“, räumt Hollstein ein. „Aber es ist schwierig zu erklären, dass das Etikett selbstständig im Grunde eine Mogelpackung ist.“

In Bielefeld haben die Christdemokraten genau das gewagt. „Nicht überall, wo Selbstständigkeit drauf steht, ist auch Selbstständigkeit drin.“ Der Bielefelder Schulpolitiker Andreas Rüther (CDU) nahm kein Blatt vor den Mund, als er im Rat der Stadt im Namen der „bürgerlichen Mehrheit“ die Teilnahme der Kommune am Modellversuch „Selbstständige Schule“ ablehnte. Seine Begründung liefert relativ vollständig die Argumente, mit denen sich etliche unionsregierte Kommunen, aber auch die Landespartei in Gestalt von Generalsekretär Herbert Reul, dem von NRW-Landesregierung und Bertelsmann-Stiftung mit großem Aplomb initiierten Schulprojekt verweigern. Statt ihnen Freiräume zu geben, halse man den Schulen ein arbeitsintensives Dauerberichtswesen auf; das ganze Verfahren sei überbürokratisiert, der immense Fortbildungsdruck auf Schulleiter und Kollegien erzeuge nur zusätzlichen Unterrichtsausfall; einem ungewissen pädagogischen Gewinn stehe ein riesiger Aufwand entgegen.

Dann die zentralen Vorwürfe: Düsseldorf wälzt Verantwortung ab mit der Maßgabe, bei Problemen den Schwarzen Peter den Schulen zuzuschieben - und das vor dem Hintergrund einer unzureichenden Ausstattung des Projekts. Darüber hinaus argwöhnt auch Reul, dass die „Selbstständige Schule“ die „Einhaltung der Qualitätsstandards gefährdet“: „Es kann nicht sein, dass die beteiligten Schulen auch pädagogisch machen, was sie wollen.“

Im Bildungsministerium neigt man dazu, die geäußerte Kritik für vorgeschoben zu halten. Nach ihrem Sieg bei den jüngsten Kommunalwahlen versuche die CDU jetzt über die von ihr mehrheitlich dominierten Städte und Gemeinden, der andersfarbigen Landesregierung am Zeug zu flicken. Als prominente Beispiele für die Berechtigung dieses Verdachts kann Düsseldorf die Städte Bielefeld und Leverkusen anführen, wo die neuen Mehrheiten der „Selbstständigen Schule“ den Garaus gemacht haben. Aber es gibt Gegenbeispiele: Mit Krefeld und Münster sind auch CDUKommunen „dabei“. Tatsächlich geht der Riss quer durch die Partei, verläuft etwa, wie in Leverkusen, zwischen der Ratsfraktion und den CDU-Schuldezernenten. Die Frist zur Teilnahmeanmeldung endet erst am 15. Juli, erst dann kann endgültig gesagt werden, ob eine massive Verweigerung vorliegt. Christiane Vielhaber, Sprecherin des Ministeriums, geht davon aus, „dass sich die Zahl der mitmachenden Schulen nicht dramatisch nach unten bewegen wird“. Am Beispiel Leverkusen lassen sich die Konfliktlinien idealtypisch studieren. Die gegnerischen Matadore sind hier Bernhard Marewski, Studiendirektor am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium und schulpolitischer Sprecher der CDU im Stadtrat, und Gerhard Löw, Leiter des Lise-Meitner-Gymnasiums und SPD-Fraktionsvorsitzender in Odenthal. Löws Schule hatte bereits am Vorgängerprojekt der „Selbstständigen Schule“ engagiert teilgenommen: an dem - auf Leverkusen und den Kreis Herford beschränkten - Versuch „Schule und Co.“.

Gerade dessen Ergebnisse kritisiert Marewski: „Schule und Co.“ habe keine Modernisierung von Managementstrukturen, sondern „nur zusätzliche Belastungen“ gebracht. Die beteiligten Schulen seien einseitig auf das Teamentwicklungs- und Trainingskonzept des „Guru“ Heinz Klippert festgelegt worden. Auf widerstrebende Kollegen habe man Druck ausgeübt, Schulen, die sich von Klippert entfernt hätten, mit Hilfeentzug bestraft. Dann die Frage: „Was haben Sie reingesteckt, was ist herausgekommen?“

Überfälliger Systemwechsel

Marewski verweist auf die Kritik in den Berichten von 15 an „Schule und Co.“ beteiligten Schulen und spricht von einer „Verschleuderung von Ressourcen“. Angesichts der Haushaltslage der Stadt und der unkalkulierbaren Kosten sei auch die „Selbstständige Schule“ „ein Abenteuer, auf das wir uns nicht einlassen können“. Außerdem gebe es vielerorts bereits innovative Projekte mit unterschiedlichen Partnern - jenseits der „Selbstständigen Schule“.

Gerhard Löw räumt eine Reihe von Problemen bei der Umsetzung von „Schule und Co.“ ein („Nicht alle Schulen haben gleich viel profitiert“), hält aber dennoch Marewskis Kritik für ungerechtfertigt. So sei das Finanzierungs-Argument „einfach lächerlich“: Die von der Kommune zu berappenden 2500 Euro pro beteiligter Schule und Jahr sei problemlos durch Eltern und Sponsoren aufzubringen. Weiterhin steht für ihn fest, dass „der Schulleiter alten Schlags nicht zukunftsfähig ist“. Der Schulleiter müsse künftig Pädagoge und Manager sein, und das sei auch keine unerfüllbare Aufgabe. Es handele sich um einen längst überfälligen Systemwechsel - weg von der zentralen Plan- und Verwaltungswirtschaft im Bildungswesen hin zur Eigenverantwortlichkeit der vor Ort arbeitenden pädagogischen Handlungseinheit Schule.

Quelle: www.ksta.de